Gewerbeverbände mahnen zu mehr Anstrengungen bei der Ausbildung
Es ist kaum zu fassen: Fachkräfte werden gesucht wie die buchstäblichen Goldkörner, die Firmen überschlagen sich mit attraktiven Konditionen und überbieten sich, was Gehälter, soziale Leistungen und Weiterbildungsangebote angeht. Insbesondere gilt das derzeit für das gesamte Handwerk, wo die Auftragsbücher nicht selten auf viele Monate hinaus voll sind.
Die Frage stellt sich in dem Zusammenhang nach der Attraktivität einer Ausbildung im Handwerk, aber auch im Handel und im Umfeld der Dienstleistungen. Tun wir hier noch zu wenig? Tatsache ist, dass wir (Stand Oktober 2022) fast 20.000 freie Ausbildungsplätze allein in Bayern haben. Gleichzeitig werden in diesem Jahr fast 73.000 junge Leute ein Studium aufnehmen in der Hoffnung, dass sie am Ende einen gut bezahlten Job bekommen. Dabei würde ein Blick in die Statistik so Manchem die Augen öffnen: Ein Meister bzw. Techniker hat beim Rentenbeginn fast genau so viel verdient wie ein Akademiker. Das verwundert nur auf den ersten Blick und muss weiter analysiert werden. Wie sicher ist meine Arbeitsstelle? Und bekomme ich nach dem Studium auch sofort eine, die mir gefällt? Meister und Techniker haben nicht selten die Chance, später einen Betrieb zu übernehmen und so in die Selbständigkeit zu wechseln, während man diesen Schritt bei einem Akademiker viel seltener sieht. Man muss nur die Augen aufhalten: Nicht selten wird von Studienabgängern berichtet, die – mangels adäquater Jobangebote- Post austragen oder einfache Büroarbeiten erledigen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und eventuell sogar noch Schulden aus der Studienzeit abzutragen.
Aufgabe der Gewerbeverbände ist es, verstärkt auf die Attraktivität einer Ausbildung aufmerksam zu machen und auf die vielen Chancen, die sich danach ergeben. Es reicht nicht mehr, nur das jeweilige Berufsbild zu skizzieren und die Schulabgänger für „Schnuppertage“ zu motivieren. Vielmehr muss ein viel längerer (Lebens-) Zyklus gezeigt werden – auch mit Testimonials und knallharten Zahlen. Es schadet nicht, wenn man Studierende zeigt, die in München verzweifelt ein bezahlbares Zimmer suchen, Nebenjobs annehmen und von den Zuschüssen der Eltern leben. Denen stellt man Gleichaltrige gegenüber, die jeden Abend sehen, was sie geleistet haben, die sich die Brotzeit im Biergarten und ein erstes Auto kaufen können und Weiterbildungsangebote der Handwerkskammer studieren, weil sie Meister werden wollen. Das Ganze dann in reichweiten Medien gestreut und mit erfolgreichen Unternehmern „garniert“: So könnte ein Schuh draus werden, auch wenn es ein langer Weg ist bei den Bemühungen um mehr Auszubildende. Dass man hier polarisiert und vielen Studierenden auch auf die Füße tritt, muss man bei diesen Anstrengungen akzeptieren. Was man nicht zulassen darf, ist eine Katalogisierung und Bewertung der beiden grundlegenden Wege. Wer studiert, ist noch lange nicht ein besserer oder intelligenterer Mensch. Und wer eine Ausbildung beginnt, ist beileibe nicht der, bei dem es für die Hochschule nicht gereicht hat. Dieses Bild geistert aber noch heute in vielen Köpfen herum. Auch eine Aufgabe der Verbände, das zu ändern und gerade zu rücken.
(Verfasser: Emil Hofmann)