Gewerbeverband wünscht sich mehr „Landflucht“
Die Zahlen, die schier im Wochentakt in den Medien – insbesondere in den bayerischen – veröffentlicht werden, veranlassen so manchen Unternehmer nur noch zum Kopfschütteln. Und in der Tat: Während Wohnraum in und um München kaum noch bezahlbar ist, zieht es noch immer viele Menschen in die Landeshauptstadt. Hier wird nicht selten für eine kleine Wohnung mit gerade einmal 50 Quadratmetern mehr als 1.200 Euro verlangt. Größere Wohnungen verschlingen schnell mal das Doppelte. Jeweils kalt versteht sich. Man könnte fast sagen „eiskalt“. Aber: Man wohnt in München, hat alle kulturellen und sportlichen Möglichkeiten, Kneipen bis zum Abwinken, einen öffentlichen Nahverkehr und die Isar vor der Haustür. Das sind die „schlagenden Argumente“ derer, die einfach dort wohnen „müssen“. Bei genauerer Betrachtung aber wird schnell klar: Wie oft besucht man Ausstellungen oder die Alte Pinakothek? Wie lange steht man vor dem Kreisverwaltungsreferat, um sich einen neuen Pass oder ein anderes Dokument abzuholen? Wie oft ärgert man sich, weil S- und U-Bahnen mal wieder zu spät kommen oder ganz ausfallen? Und ob der Kaffee Latte für schlappe fünf Euro in der Kneipe vielleicht nicht doch ein bisschen überteuert ist? Den kann man ja auch auf seinem Balkon trinken, sofern der Platz für einen kleinen Tisch und einen Stuhl hat. Und das nette Gespräch mit dem Nachbarn im Stockwerk darunter ergibt ja sowieso Sinn. Den Kinderwagen oder das Rennrad hat man vorher mangels Aufzug (man wohnt ja chic im Altbau) schwer schnaufend in den vierten Stock gehievt, wo der Hausmeister spätestens am Abend die „zugestellten Fluchtwege“ moniert und auf die Hausordnung verweist.
Konstruiert? Keinesfalls. Realität pur. Täglich. Da wundert es nicht mehr, dass die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Selbst der Mittelstand kann sich München nicht mehr leisten“. Man müsste kontern: Warum tut er sich das dann überhaupt an?
Fragt man Burghauser Fachbetriebe unabhängig von der Branche, hört man: „Wir könnten mehrere Mitarbeiter sofort einstellen“. Das ist auch im Umland nicht anders. Und die daraus resultierende Frage lautet: Warum packt der Heizungsbauer oder der Küchenchef, der Programmierer oder Schreinermeister nicht sofort seine Koffer und macht sich über die A94 auf den Weg zu uns? Klar: Er hat keine U-Bahn, aber Busse, die pünktlich und günstig fahren. Er hat keine Wartezeiten, wenn er sein Auto an- oder ummeldet. Er hat ein Freizeitangebot, das er wegen der Vielfalt kaum in seiner Gänze nutzen wird. Und er hat Platz. Für sich, seine Familie, den Kinderwagen und das Radl. Die Miete frisst ihm nicht mehr einen Großteil seines Einkommens weg, und Wirtschaften gibt’s auch (fast) an jeder Ecke, wenngleich vielleicht nicht so gestylt und abgehoben wie am Münchner Gärtnerplatz oder in Schwabing.
So gesehen müssten die Gewerbebetriebe in der Region eine Aktion in München starten mit dem Ziel, neuen Mitarbeitern die Vorzüge des „Landlebens“ vor Augen zu führen. Mühldorf hat das als Kommune bereit vorgemacht mit einer viel beachteten und pfiffigen Werbung. Und fragt man Fachkräfte, die inzwischen umgezogen sind, ob sie den Schritt jemals bereut haben, hört man nicht selten: „Der große Fehler war, dass wir nicht schon viel früher daran gedacht haben, hier her zu ziehen“. Zurück will jedenfalls keiner, wenn er am Wöhrsee sitzt oder in der Eisdiele am Stadtplatz. Und wenn’s denn mal sein muss: Die Autobahn wäre ja notfalls da.